Das Alltägliche ist das Unbestimmbare.
Die Arbeiten von Max Schaffer haben etwas gemeinsam, so unterschiedlich sie sein mögen in ihren medialen Ausformungen, in den Genres, die sie berühren, oder in der unterschiedlichen Zeitdauer, für die sie je spezifisch erscheinen. Gemeinsam ist ihnen das Prinzip, dass man irgendwie immer zu spät dran ist, um die Welt noch einmal neu zu entwerfen. Was dann bleibt, ist die Auseinandersetzung einer Kultur des Vorgefundenen, die aber ihrerseits immer zu früh dran war, um die richtigen Entscheidungen getroffen zu haben. Was bleibt, ist für diesen Raum zwischen dem zu Frühen und dem zu Späten eine Sprache zu finden, die sich von beiden emanzipiert – und sei es die Sprache für eine unmögliche Gegenwart, die sich gleichzeitig als Modell ihrer selbst versteht: als Bild einer Gegenwart, die die Gegenwart selbst ungegenwärtig erscheinen lässt.
Eine Form, mit dieser Kultur des Vorgefundenen umzugehen, besteht für Max Schaffer wie in dieser Arbeit darin, auf seinen Wegen durch die Stadt Materialien, Motive oder Objekte zu entdecken, die er sich dann (erlaubter oder unerlaubterweise) aneignet und einem neuen Verwendungsprozess zuführt. Das Spektrum reicht von Handläufen für Treppen, Markisen, ausgedienten Möbel und Baumaterialien bis zu den Überbleibseln einer Lüftungsanlage, die in diesem Fall von der Secession stammt: ein Haufen metallener »Fundstücke«, die nicht nur ob ihrer Form an das vergessene Archiv einer an Minimalismus und modernistischem Funktionalismus orientierten Materialsammlung erinnern, sondern ob ihrer Funktion und der Ausstellungsgeschichte der Secession auch sehr heterogene künstlerische Luft inhaliert, gefiltert und gespeichert haben. Was da vor den Mauern der Secession »zwischengelagert« war, hat den Charme der Relikte einer institutionellen Lungentransplantation. Und die entsprechenden Bronchien wurden mit dem Odem von Klimt und Zobernig bis Renée Green oder Fischli und Weiss gefüllt. Für seine jetzige Ausstellung hat Max Schaffer diese kunsthistorisch patinierten Luftröhren in die Galerie Senn manövriert, um sie wieder der institutionellen Spirale einzuschreiben, der sie entnommen wurden. Aus materialer Sicht bedeutet die Ausstellung von Max Schaffer gewissermaßen eine Retrospektive aller Ausstellungen der Secession der letzten Jahre in der Galerie Senn – nur etwas anders als gewohnt: weniger kuratiert als vielmehr gefiltert durch einen Verwendungsprozess, der sich einerseits am Skulpturalen orientiert, um die Koordinaten eines Werk- oder Genrebegriffs der bildenden Kunst zu berühren, und andererseits durch das bloße Arrangement der Fundstücke auf die Geste weist, auf den Akt des Inszenierens – wenn man so will: auf eine performative Figur. Das Arrangement lenkt den Blick auf den manifesten Umgang mit dem Material, auf das Verschieben, Ausrichten, Verrücken, Anordnen, Umstellen und Ausstellen, kurz: auf eine Ästhetik des Handelns, des Handhabens und Handlings. Weil die Frage, warum etwas hier hin oder da hin, so und so gestellt, gelegt, verschoben und verrückt wurde, gibt es keine Antwort, sondern nur die Einsicht, dass es eine Entscheidung dafür gegeben hat, die auch anders ausfallen hätte können. In diesem Sinne vermittelt sich neben der Geste auch eine Ästhetik der Entscheidung, die nur getroffen werden kann, wenn eine Situation unbestimmt oder unbestimmbar ist. Das Gesetz dahinter basiert auf einem Realitätsbegriff, der davon ausgeht, dass sich der politische, soziale, ökonomische oder kulturelle Alltag wesentlich und expansiv durch unbestimmbare Situationen auszeichnet, und kein Wissen dafür ausreicht, begründet eine Entscheidung treffen zu können und doch unentwegt entscheiden zu müssen. Was dann als Wirklichkeit erscheint, erscheint entschieden riskant und so künstlerisch wie alltäglich.
– Andreas Spiegl
Everyday Life is Undeterminable.
Despite apparent differences regarding their medial form, the genres that they touch or their different length of time – for which they seem to be specifically made – Max Schaffer’s works do have one thing in common: The principle that somehow we are always too late to recreate the world from scratch. What remains is that we have to deal with the culture of the discovered, a culture that was always too early to have made the right decisions. What remains is finding a language for this space between what has been too early and what has been too late, a language, though, that emancipates itself from both aspects – a language for an impossible present that perceives itself as its own model: as an image of the present, which lets the present itself appear non-present.
Max Schaffer has developed his own form of dealing with the culture of the discovered by strolling through the city, finding materials, motifs or objects which he makes his own (be it permitted or not) to give them a new purpose. The spectrum ranges from handrails for stairs, blinds, old furniture and building material to the remains of an old ventilation system, which, in the case at hand, was originally installed in the Vienna Secession: a huge pile of metal findings that do not only in form resemble a forgotten archive of material collections oriented towards minimalism and modernistic functionalism, but also have – due to their function and the Vienna Secession’s history of exhibitions – inhaled, filtered and stored some kind of heterogeneous artistic air. Anything temporarily stored from the Secession’s walls transmits the charms of leftovers from an institutional lung transplantation. The respective bronchia have been filled with the breath of Klimt and Zobernig, Renée Green or Fischli and Weiss. Max Schaffer has now transported these airways of art history to Galerie Senn, thereby restoring it to the institutional cycle that they have been taken from. From a material perspective, Max Schaffer’s exhibition is therefore to be seen as a retrospective of the Secession’s past exhibitions displayed at Galerie Senn – just a little different than usually: less curated, but rather filtered by the process of use, which on the one hand follows the sculptural element thereby touching the coordinates of the visual art terms “work” and “genre”; on the other hand, the mere arrangement of Schaffer’s discoveries refers to a gesture, the act of staging – more frankly speaking: to the performative figure. It is the arrangement that diverts our perspective to the manifest use of the material, to the adjusting, straightening, moving, coordinating, changing and exhibiting, or in just a few words: to the aesthetics of action, operation and handling. The question why something has been put, set, adjusted or moved in this or that way to this or that place cannot be answered, all that is left for us is to understand that there was a reason behind it all, a reason which may have turned out differently. Insofar, not only the gesture as such is perceived but also the aesthetics of the decision, which can only be taken if a situation is undetermined or undeterminable. The principle behind this idea is based on a definition of reality which assumes that our political, social, economic or cultural everyday life is significantly and expansively shaped by undeterminable situations and the thought that we will never know enough to rationally take a decision; at the same time, however, we are continuously faced with the obligation to take decisions. What appears to be real, seems very risky and mirrors both art and everyday life.
– Andreas Spiegl