ELFIE SEMOTAN

Ich fotografiere, weil mich Menschen interessieren – und ihre Nacktheit, gerade jene der Frau, ist etwas Essenzielles, ein ewiges Thema, völlig unabhängig vom Alter oder ostentativer Schönheit. Sich dem zu stellen, wie ich es nun intensiver versuche, ist angesichts der schamlosen Verwendung weiblicher Reize für alles und jedes eine enorme Herausforderung. Nur mit entschieden persönlicher Sichtweise lässt sich dem entgegnen und ein Frauenbild bestärken, das die latente Entwertung als bloßes Objekt der Begierde mit Existenziellem konfrontiert, mit Dimensionen der Selbständigkeit als Frau und ihrer spannenden Intimität. Gegen die jegliche Vielfalt egalisierende, unbeeinflussbare Macht der Bildströme ringsum helfen nur sensible Impulse zur Differenzierung ästhetischer Vorstellungen. Es kommt auf Nuancen an, um Menschen unterschiedlicher zu zeigen, auch in ihrer Erotik, in ihren Träumen, als es in der Konsumwelt propagiert wird. Mit meinen Fotos will ich Andeutungen von Speziellem, Andeutungen von unmerklichen Potenzialen ausdrücken, ob es nun um Porträts oder Körperlichkeit geht. Dass gelebt wurde und gelebt wird, soll sichtbar werden. Dem nackten Menschen, also nudes gegenüber, wie es im Englischen lakonisch heißt – während mich Wörter wie Aktfoto, Aktmodell immer gleich an Gewaltakt, Geschlechtsakt, Kraftakt oder Aktionismus denken lassen –, ergibt sich eine andere Distanz als beim auf ein Gesicht eingehenden Porträt. Der festgehaltene Moment wird zum Stillleben in wörtlichem Sinn. Unschärfe kann zwar Bewegung andeuten, es bleibt aber offen, was im Weiteren möglich wäre. Die jeweilige Umgebung kann dafür ganz entscheidend sein. Es geht also um Situationen. Nacktheit gerät in unseren Breiten rasch in Bezug zu Religion und ihren Verboten. Von Kind an habe ich mich gegen diese unterschwellige Beeinflussung unserer Moral, unserer Sexualität aufgelehnt mit all ihrem Unkeuschheitsterror.

Als Frau – und das sage ich dezidiert – müsste ich wahnsinnig sein, einer Religion anzugehören, die mich als Wesen zweiter Klasse einstuft, die über meinen Körper verfügen will, die allen die Pille verbietet … Für solche Zusammenhänge bezeichnend ist auch, dass trotz der vielen Nackten in Medien und Werbung die Schamhaargrenze durchgehend akzeptiert wird, um noch als halbwegs gesittet zu gelten. Nur Kunst und Pornographie brauchen sich nicht daran zu halten. Anscheinend wirken sich uralte Religionsvorstellungen aus dem Mittleren Osten neuerlich aus, nach denen weibliches Haar – und gerade jenes an intimen Stellen – als Inbegriff von Verführungszauber gilt und strikt verborgen bleiben muss. Selbst das wieder aktuelle Enthaaren und Stylen solcher Zonen hat kulturell weit zurückreichende Vorbilder.

Für die konfuse Geschichte von Tabuisierung und Männerphantasien ist exemplarisch, dass Gustave Courbets berühmtes, Jahrzehnte lang nicht öffentlich gezeigtes Vaginabild Der Ursprung der Welt als Auftragsarbeit für den osmanischen Diplomaten Halil Şerif Paşa entstand, dann in die Hatvany-Sammlung nach Budapest kam und schließlich vom Psychoanalytiker Jacques Lacan erworben wurde bevor es ins Musée d’Orsay in Paris gelangte.

Der Hygienewahn eliminiert vieles aus den alltäglichen Bildwelten. Angesichts der glatten Reich-schön-gesund-prominent- Welten, auf die alle – nach oben auf Erfolgsmenschen blickend – eingestimmt werden sollen, wird es schon zum Erlebnis, wenn Leute auftauchen, die normal ausschauen und trotzdem eindrucksvoll sind, als fähige, engagierte, tatkräftige Personen. Perfektion läuft vielfach ins Leere, auch auf Schönheit bezogen. Vielschichtige Assoziationen entstehen erst, wenn nicht alles stimmt.

Bilder von Kriegsgräueln, von Folter, von Armut erreichen uns nur stark gefiltert; trotzdem sind sie nicht so tabuisiert wie der nackte Körper. Gerade die oft so wüst wirkenden Gemälde von Lucian Freud kommen spezifisch Menschlichem sehr nahe; er braucht keine Anspielungen, keine heutigen ästhetischen Kriterien. Es ist wie es ist. Das macht seine Bilder so unglaublich stark. Bei Diane Arbus wiederum erschließt sich etwa die melancholische Lebenswelt eines älteren dicklichen Nudistenpaares in seinem Wohnzimmer ganz unmittelbar, ohne kritisierenden Beobachtungshochmut. Ständestaatliche Identitäten wie bei August Sander – Bankier, Soldat, Arbeiter, Lehrer, Hausfrau – sind längst unsinnig geworden, obwohl solche Typisierungen wieder an Boden gewinnen: Finanzwelt, Filmwelt, Modewelt, Welt der Kunst … Zeichen der Zugehörigkeit … Ausgrenzung des Unpassenden …

Mich beschäftigen Perspektiven und Potenziale des Menschlichen. Meine Fotos sollen Raumvorstellungen erschließen. Ästhetische Kriterien verändern sich angesichts der Zustände zwangsläufig. Meine bleiben in gewissem Sinn altmodisch. Sie verschieben sich eher unmerklich bevor mir das selbst bewusst wird. Dann lässt sich auch über eigene Sichtweisen staunen.

 

HANS WEIGAND

Hans Weigand beschäftigte sich in seinen Malcollagen und Panoramen der letzten Jahre mit dystopisch gewendeten Freiheitsversprechungen des kalifornischen Traums. Seine psychedelisch verdüsterten, übermalten und meist großformatigen Druckgrafiken transferieren Brandung und Board, die zentralen Topoi der Westcoast-Surfromantik, in eine postapokalyptisch wirkende Küstenlandschaft.                 

Viele Wege führen durch diese Territorien, manche entwickeln sich zu formalen und inhaltlichen Hauptverkehrsadern, andere zu nur schwer begehbaren Pfaden. Das Fluide besetzt dabei zweifelsfrei, in der Ikonografie der Weigandschen Bildwelt, in vielerlei Form, eine zentrale Position. Dies vor allem als Urelement eines ambivalent zwischen sunshine und noir skizzierten Gesellschaftsbildes.

Wer die Arbeit des Künstlers kennt und dann die Ausstellung mit diesem Bewusstsein betritt, wird sich gleichermaßen zu Hause wie befremdet fühlen. Er/Sie trifft zwar einerseits auf jenes im Weigandschen Paralleluniversum vertraute Motiv der Welle, des Fluiden,-  als Symbol menschlicher Existenz, –  dem visuellen Overkill der großen Panoramen der letzten Jahre folgt jedoch,- einem Entzugmodus gleich- die Erhellung des Details.

Dabei schließt Weigand an das Ukiyo-e, die vergänglich fließende Welle, des japanischen Holzschnittes an. Visualisierung des Verborgenen und die Literarisierung des Bildes fallen zusammen. Über die Erhellung des Details ereignet sich jene Benjaminsche Zerstörung von Aura, die den neuen Blick  hervorbringt, solchermaßen das Medium der Malerei ins Verhältnis setzt und neu definiert.

Der „Erhellung des Details“ folgt jedoch im Weigandschen Universum naturgemäß die „Hölle des Details“. Das Bild der Hölle bezeichnet dabei jenen Vorgang, bei dem die sichtbaren Konturen und Bilder dieser Wogen sich in die reine Materialität der Oberfläche, bzw. in Hell-und Dunkelstrukturen auflösen. Genau jenen Moment also, in dem die Formulierbarkeit der verborgenen Bildwelten in die absolute Unkenntlichkeit umkippt. Es ist jener Schrecken des Details den Walter Benjamin mit dem Begriff „Chock“ markiert und Antonioni in „Blow up“ inszeniert.

Weigands Bild – und Objektassoziationen zu unserer fraktalen Gegenwart machen klar, dass kein Fraktal dem anderen gleicht, so wie keine Welle zweimal existiert. Diese von den Psychedelikern idolisierte Irritation der Wahrnehmung erweitert Weigand auf ganz spezifische Weise, mit seinen irrisierenden „Wellenbrechern“ in den Bereich der körperlichen Erfahrbarkeit.

Als akkumulative Objektekstase intervenieren diese, mit der Aura von Gebrauchsrealität versehenen, Versatzstücke in den Raum und zwingen den/die Betrachter/in sich ins Verhältnis zu setzen, bisweilen selbst  „Hand anzulegen“.

Einmal mehr versteht der Künstler Pop und Endzeit in ein psychedelisches Vexierbild zu bannen – eines, das die eigene Verblendung nicht mutwillig ausblendet. Ein weiterer Weigandscher Paradefall polymorpher Übersetzungskunst bzw. Umstülpungen von Innen- und Außenwelt. Ein weiteres „Free-Form Freak-Out“.

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