Zu den aktuellen Werkgruppen von Barbara Mungenast

Im Unterschied zur Moderne, die den Abstraktionsbegriff noch als Idee einer ästhetischen Selbstreferenz zu artikulieren versuchte, lässt sich Abstraktion heute nicht auf ein Gestaltungsprinzip reduzieren, sondern durchdringt als Kategorie alle unsere Gesellschaftsbereiche und sozialen Beziehungen. Bob Nickas wirft in der Publikation „Painting Abstract. New Elements in Abstract Painting“ (2009) die Frage auf, worin das spezifisch Neue in der Neuen Abstraktion besteht. Die Auseinandersetzung damit, wie Abstraktion und Realität sich heute zueinander verhalten und ob die „Neue Abstraktion“ einen Gegenentwurf zu Realitätsmodellen bietet, lässt gleichzeitig die von Sven Lütticken in seinem Essay „Leben mit Abstraktion“ (2008) gestellte Frage auftauchen: „In welchem Verhältnis steht dann aber die abstrakte Kunst zur zunehmend ‚abstrakten’ Welt?“

In ihrer aktuellen Malerei, ihren Bildobjekten, Skulpturen und Installationen reformuliert Barbara Mungenast jenen Abstraktionsbegriff, der auf die Produktivität eines ästhetisch stilisierten Lebens durch Kunst, Design und Architektur abzielt. Nach einer gründlichen Revision modernistischer und neoformalistischer Malereiparadigmen und dem Loslösen vom Bildträger im malerischen Prozess werden von Barbara Mungenast in ihren aktuellen Werkgruppen produktionstechnische Abläufe, die Relationen zwischen Farbe, Form und Logiken der Displaysierung neu aufgemischt und strukturiert.

Barbara Mungenasts kreisrunde Bildobjekte wirken raumgreifend, sind einzeln oder als installatives Setting in den Raum montiert und definieren die Ausstellungssituation durch das Wechselspiel ihrer farblichen und proportionalen Dimensionen. Die Farbskala reicht von BMW-Schwarz über Ferrari-Rot, Minimalistisch-Grau bis zu Harlekinfarben, deren chamäleonartigen Effekte bevorzugt für die Lackierung von Harley Davidsons verwendet werden. Jede Farbauswahl ist das Resultat eines konsequenten Rechercheprozesses über deren kulturellen oder gegenkulturellen, ökonomischen, kunst-, design- oder architekturhistorischen Codierungen.

Die intensiv leuchtenden durch den Einsatz von Autolack bewirkten Oberflächenphänomene, Flimmereffekte und Reflexionen üben eine Sogwirkung aus und lösen gleichzeitig eine Steigerung des Mit- und Gegeneinanders von Farbe, Fläche, Körper und Raum aus. Der Topos des Malerischen resultiert hier nicht aus einem manuellen, gestischen Vorgang, sondern aus technologischen, industriellen Produktionsabläufen durch das Aufsprühen von Autolack. Anders als die Minimalisten leitet Barbara Mungenast allerdings Abstraktion nicht aus den Vorgängen der Industrie her, sondern tritt den „Materialismen“ der modernen Gesellschaft durch korporative Produktionsmethoden gegenüber. Barbara Mungenast verzichtet darauf, individuelle Spuren auf dem Bildobjekt zu hinterlassen, es gibt keinen Duktus, keine Gestik, sondern technische Präzision, ohne allerdings die künstlerische Autorenschaft auszuschalten, Barbara Mungenast ist in jeden Schritt des Produktionsablaufes unmittelbar involviert.

Abstraktion als sichtbare Form und als verborgene Gesellschaftsstruktur gelangt in der skulpturalen zum Stillleben arrangierten Werkgruppe „Ohne Titel“ zum Ausdruck. Kunstproduktion wirkt heute zunehmend kulturalisierend und greift insofern vice versa wiederum kulturelle Aspekte auf. In Barbara Mungenasts Stillleben sind es überproportionale Abgüsse in Form von Schellen, die als Klangkörper beim Treiben während der Fastnacht in Imst, dem Heimatort von Barbara Mungenast zum Einsatz gelangen. Anstelle der Verwerfung eines Brauchtums werden hier skeptisch konkrete Spezifika aufgegriffen, um diese durch das Herauslösen aus ihrem ursprünglichen Kontext wiederum einer Abstraktion zu unterziehen. Als weitere Form, die quer durch unsere Kulturgeschichte von der Antike bis heute in verschiedenen (Alltags)Ritualen auftaucht, greift Barbara Mungenast die Symbolik von Ringformationen auf. Die Transformation der Größenproportionen stimuliert unsere visuelle und räumliche Wahrnehmung. Exakt darauf abgestimmt ist das weiße Podest, das durch seine kubische überproportionale Dimension die Abstraktheit des Ausstellungsraumes als White Cube kippt. Als reflexives künstlerisches Verfahren gewinnen die Skulpturen durch den speziellen Einsatz der Farbe – ein Spezialgips wird mit Farbpigmenten durchmischt – ein gesteigertes Abstraktionsniveau. Die Rohheit des Materials und ihr pastelliger Violett-, Grün- und Braunton lassen die Oberfläche samtig und rau wirken und eine Aura des Verbrauchten entstehen.

Das Ausstellungsdisplay gestaltet sich zu einem Parcours zwischen Gehängtem und Gestelltem. Gegenüber den geometrisch exakten Bildobjekten bildet das mit Farbe überzogene Metallgestell der Skulptur „Ohne Titel“ amorphe Strukturen. Ein Glasgefäß als massenproduzierter Artikel, als quasi Readymade wird von Barbara Mungenast umgestülpt in das Gestell gespannt und mit einer zitronengelben Lackschicht  als Farbhaut überzogen. Das Metallgestell gelangte während der Markierung als Halterung für die Bildobjekte zum Einsatz. Die Farben auf dem Gestell wirken in ihrer amorphen Struktur wie die Essenz oder das Substrat von Farbsamples, wie Markierungen, die auf abstrakte Malerei zwar hindeuten, doch de facto während des Lackauftrages der Bildobjekte entstanden sind. Sie bilden einen Remix der Produktionsabläufe. Gegenüber dem Disidentifikatorischen industrieller Prozesse tritt hier eine skulpturale Identifikation. Laut dem Philosophen  und Semiotiker Paolo Virno ist abstraktes Denken zu einer Säule sozialer Produktion geworden. Abstraktion bedeutet hier keine Abkehr von der Realität oder ästhetische Kompensation, sondern bildet einen Gegenentwurf.

– Ursula Maria Probst

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