Tomasz Kowalski

Untitled, 2010
Gouache auf Papier / gouache on paper
56 x 86 cm

Erstmals zeigt die Gabriele Senn Galerie eine Einzelausstellung des jungen polnischen Künstlers Tomasz Kowalski (* 1984, Szczebrzeszyn), dessen Arbeit zunehmend internationale Anerkennung findet. Im Rahmen der Ausstellung wird außerdem am 20. November in der Gabriele Senn Galerie um 11.30 Uhr einen Vortrag über die Kunst von Tomasz Kowalski vom polnischen Kunsthistoriker Wojciech Szymanski stattfinden.

Die Ausstellung bietet umfassende Einblicke in Tomasz Kowalskis facettenreiches Werk und die unterschiedlichen Arbeitsweisen des Künstlers, der durch skulpturale und installative Interventionen die bestehenden räumlichen Strukturen von Galerieräumen und anderen Ausstellungsflächen akzentuiert. Kowalskis visuelles Zeichensystem mutet oft irreal an. Seine Bildwelten wirken magisch und teils surreal, die von ihm gesetzten Zeichen verwundbar, fragil. Unterschiedliche Ebenen der visuellen Repräsentation fließen ineinander über.

Der Künstler Tomasz Kowalski steht stellvertretend für eine gegenwärtig neue Generation visuell schlagfertig agierender Fantasten, die sich derzeit dank ihrer Erfindungsgabe über die Landesgrenzen Polens hinaus im internationalen Kunstgeschehen positionieren. Nicht zuletzt deshalb ist Kowalski bereits in mehreren namhaften Sammlungen vertreten. Im Unterschied zu der an einem medial beeinflussten Realismus interessierten Avantgarde (wie bspw. Althamer, Sasnal oder Maciejowski) hat sich Tomasz Kowalski seit Beginn seiner künstlerischen Laufbahn einer andersgearteten Sensibilität verschrieben und ist entgegensetzten kulturell- künstlerischen Konventionen gefolgt. In seiner Kunst legt Kowalski abgründige Rätsel der Natur offen. Seine Werke mutieren zu einer Phänomenologie der geisterhaften Erscheinungen. Seine Bilder protokollieren das Unheimliche. Sie fokussieren unbewältigte und oft verdrängte Gefühlszustände.

„Nüchtern wie ein Insektenforscher“ nimmt Kowalski existentielle Zustände wie das Unvorhersehbare des Eros, der Grausamkeit, der Gewalt und der Macht, der Vergeblichkeit, des Mitleids und der Besessenheit unter die Lupe. Basierend auf eigenen Kindheitsträumen setzt er sich mit den inneren Welten der Träume und Alpträume, mit dunklen Fantasien, Pubertäts- und Initiationsriten, Phobien und Ängsten auseinander, welche in der durchwegs gesellschafts-politisch kritischen polnischen Kunstszene bisher als tabuisiert galten. Kowalskis exzentrisch wirkende Bild-Erzählungen fließen ununterbrochen – eine in die andere –, selbst da, wo er bloß ein minimalistisches Schwarzblatt malt. Alles, was er festhält, ist durch gläserne Distanz – wie das Erleben im Traum – gekennzeichnet. Seine teils geisterhaft- makabren, teils humorvoll-zauberhaften Protagonisten, elegant an der Oberfläche, tot und halb lebendig, marionettenhaft und uniformiert, mit einprägsamen Charaktermasken und hybriden, unklaren Identitäten, sorgen stets für Spannung: Szenen von herzzerreißender Lebensqual kippen um in Situationen schreiender Komik, Seelennot verflüchtigt sich zum albernen Fest.

Kowalski taucht seine absurd schockierenden Bildfindungen in Referenzen aus dem Bereich der Folklore, der naiven Kunst, der Magie und der Metaphysik sowie in

Anspielungen auf klassische (Geister-)Gestalten und Motive der europäischen Geschichte der Malerei ein.
Die Bezüge, zu denen er sich bekennt, reichen von den fantastischen Bildern Boschs oder Breughels über die hysterisch manieristischen Portraits Arcimboldis und die schwarzen Lithographien Odilon Redons bis hin zur surrealistischen Bildwelt eines Pierre Klossowski, Hans Bellmer oder Henry Darger. Kowalski schöpft aus der Ikonographie des volkstümlichen Totentanzes, der lokalen Maskerade und Absurdität, der Groteske, an der Schwelle zwischen Orient und Okzident. Die zahlreichen dunklen Geistergeschichten, Orientalismen sowie die Szenen und die Anmut der Provinzwelt, aus der er persönlich stammt, rufen ein Echo des okkulten, romantischen Prämodernismus als Wahnvorstellung oder Bewusstseinsstörung in Erinnerung. Aus dieser im polnischen Kontext neuartigen künstlerischen Sichtweise vermögen auch Elemente des Altbekannten überraschend neue Fragen aufzuwerfen.

Tomasz Kowalskis im „armen Theater“ der Nachkriegszeit Polens (T.Kantor, J.Grotowski) und im spielerischen Tanz angesiedelten Bildwelten spiegeln sein Feingefühl für Themen der Populärkultur. Sie paaren das triviale „Phantom der Oper“ mit dem hehren Image eines „König Ubu”. Seine Kunst bringt dabei stets eine instabile Balance, eine Störung oder ein Kippen zum Ausdruck. Durch die Abwechslung expressiver Mittel in der zeitlos wirkenden Form der Malerei sowie durch seine emblematischen Zeichnungen, aber auch in seiner ebenfalls in der Gabriele Senn Galerie präsentierten finsteren Soundinstallation „Chimney sweeper on the church roof” mit eigens komponierter Musik und einem Text als Referenz an ein Hörspiel, reflektiert Kowaski ebenfalls jene Erfahrung, welche in uns das Begehren nach Bildern erzeugt.

In seiner in Österreich allerersten Präsentation in der Wiener Gabriele Senn Galerie manifestiert sich die zu zeitversetzten, surreal verrätselten Eskapaden neigende und detailreiche Einbildungskraft des Künstlers in Form einer neuen „Schwarzen Serie“ aus Zeichnungen und Plakatentwürfen, als auch in farblich gedämpft wirkenden, erdigen Bildern. Darüber hinaus zeigt Kowalski ein Set zerbrechlicher Draht- und Metallskulpturen und theatralischer Requisiten. Alles zusammen fließt wie Tag und Nacht seltsam organisch ineinander. Tomasz Kowalskis spukhaft verzerrter Kunstkosmos erzeugt in der aktuellen Ausstellungsinszenierung eine verwickelte Choreographie, beginnend mit den Vitrinenfenstern zu der Strasse und dem ebenerdigen Galerieraum bis tief in den Keller der Gabriele Senn Galerie. Die bühnenhafte Performance erweckt beinahe Action & Suspense-Effekte in einer kaum definierbaren Parallelrealität. Der Ausstellungstitel „Sen“ (auf polnisch „Traum“) spielt auf eine dem Betrachter verborgene innere Mechanik oder die Kraft des Zufalls an, die unsere Leitvorstellungen und Urteile über reale und künstlerische Prozesse weitaus interessanter machen.

Goschka Gawlik

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